“Wie überwinde ich die Angst vorm Dating nach Missbrauch?"
- nataschafreisein
- 13. Juli
- 4 Min. Lesezeit
“Sie können gleichzeitig Angst haben und sich bewerben. Beides kann co-existieren” sagte meine Therapeutin einmal zu mir. Wir glauben so oft, dass Angst nicht gut ist, dass wir sie überwinden müssen. Umso mehr wir Angst ablehnen, desto präsenter ist sie meistens.
Dabei dient Angst, wenn sie punktuell in einer bestimmten Situation auftaucht, unserem Überleben.
Vielleicht bist du seit einem oder mehreren Jahren getrennt von deinem narzisstischen Ex. Und nun sehnst du dich nach einer Beziehung, nach Zweisamkeit, Intimität. Du lädst dir eine Dating App herunter und plötzlich ist da Angst. Angst vor Nähe, Sex, dem Kennenlernen. All die Dinge, die eigentlich schön sind, lösen plötzlich Angst in dir aus. Oder du spürst bei einem ersten Date, dass du Angst hast, dein Herz zu öffnen.
Es kann auch sein, dass du Flashbacks hast, dir vorstellst, wie du einen Mann zu dir in die Wohnung lässt und er sich plötzlich als gewalttätig entpuppt. Solche Gedanken sind kein Beweis dafür, dass die Männer, die wir kennenlernen, böse sind und wir auf der Hut sein müssen. Vielmehr sind sie ein Zeichen dafür, dass Überlebensenergie im Körper zurückgeblieben ist und du im Hier und Jetzt, wo du sicher bist, alte nicht verarbeitete Emotionen wiedererlebst. Diese emotionalen Reaktionen auf bestimmte Situationen oder Menschen bezeichnen wir dann als Trigger. Hier kann es hilfreich sein mit einer Therapeutin zusammenzuarbeiten.
Wie schaffe ich es, die Angst vor Dating und Männern zu überwinden?
Was, wenn du sie im Hier und Jetzt nicht sofort überwinden musst? Angst dient, wie schon anfänglich erwähnt, unserem Überleben. Insbesondere wenn wir Missbrauch erlebt haben, ist es wichtig, diese Rolle der Angst anzuerkennen. Gleichzeitig ist es wichtig, dass du mit der Angst arbeitest statt gegen sie.
Wir können als Single viel an unseren Themen arbeiten, sie verstehen und mithilfe professioneller Hilfe Fortschritte machen. Doch unsere Bindungsmuster und traumatischen Erfahrungen, die in unserem Körper und Nervensystem stecken, können wir nicht völlig außerhalb einer Beziehung lösen, wenn das Trauma durch eine Beziehung entstanden ist.
Trauma durch narzisstischen Missbrauch - ob durch die Bezugspersonen oder einen Partner - hinterlässt im Gehirn und Nervensystem einen Abdruck des Misstrauens. Wir lernen, dass Beziehungen gefährlich und Orte der Ausbeutung sein können. Vielleicht hast du gelernt, immer auf der Hut zu sein, die Mimik und Gestik von Partnern, Fremden, Kolleg:innen auf Ärger abzuscannen. Ruhe, Entspannung und das Ablegen der Maske kennst du vielleicht nicht mehr. Allein die Vorstellung, dich wieder emotional nackt zu zeigen, weckt womöglich Angst in dir. Unser System will um jeden Preis verhindern, dass wir nochmals eine so schmerzvolle Erfahrung machen, ob nun emotional oder physisch. Und somit haben wir Angst vor Nähe.
Übe dich im Nein sagen und Grenzen setzen außerhalb des Datings
Die meisten, wenn nicht alle Opfer narzisstischen Missbrauchs, haben Schwierigkeiten damit, Nein zu sagen und ihre Grenzen zu wahren. Sie haben oft schon als Kind erlebt, dass ihre Stimme, ihre Intuition und ihre gesunde Wut (dient zur Abgrenzung und Entwicklung der eigenen Identität) nicht gefördert oder sogar unterdrückt wurde. Oder wir haben am Anfang und im Verlauf der Beziehung immer wieder versucht, unsere Grenzen zu kommunizieren und sind gescheitert, weil der Narzisst sie absichtlich überschritten und verletzt hat. Dies führt zu einem Gefühl der Machtlosigkeit und Ohnmacht gepaart mit ganz viel unterdrückter Wut. Dieses Erlebnis - dass unser Nein nichts ausrichtet - führt maßgeblich zur Angst vor dem Kennenlernen eines Mannes. Außerdem kann sich unser Bindungsstil in einer solchen Beziehung verändern, sodass wir schon beim Gedanken an Beziehung an den Verlust unserer Identität und Vereinnahmung denken.
Deshalb ist es wichtig zu üben, wie es sich anfühlt und welche Emotionen das Nein sagen und Grenzen setzen außerhalb des Datings in dir auslöst. Wie gut kannst du Grenzen setzen, Bedürfnisse kommunizieren und den Bedürfnissen Anderer (wenn sie nicht mit deinen übereinstimmen) entgegentreten?
In welchem Bereich hast du am meisten Mühe mit Grenzsetzung, ist es auf der Arbeit, mit Fremden (z.B. in einem Geschäft, Restaurant, etc.), in der Familie, mit Freunden?
Was genau löst allein die Vorstellung einer Grenze gegenüber den verschiedenen Menschen emotional und körperlich in dir aus?
Wo spürst du die Reaktion auf deine gesunde Wut?
Wir reagierst du auf Wut und Ärger Anderer?
Tendierst du dazu, deinen Ärger herunterzuschlucken und still zu werden und in die Vermeidung zu gehen?
Bist du in manchen Situationen besonders nett, obwohl du eigentlich wütend bist?
Die für mich beste Übung in der Grenzsetzung war und ist für mich das Teilnehmen an Meetup-Veranstaltungen zum lockeren Kennenlernen ohne Dating-Fokus. Meistens habe ich bei diesen Veranstaltungen tolle Menschen kennengelernt; aber ich habe auch erlebt, dass ich mich in Runden wiederfand, in denen ich mich unwohl fühlte. Oft blieb und erstarrte ich innerlich, bis sich die Runde irgendwann von selbst auflöste. Es brauchte viel Übung, bis ich eine solche Runde einfach verlassen konnte und mich zu einer anderen Gruppe gesellt habe. Denn indem wir uns von einer anderen Gruppe oder einem Menschen entfernen, kommunizieren wir indirekt oder direkt (wenn wir sagen “Ich gehe mal an einen anderen Tisch”), dass wir uns unwohl fühlen oder gelangweilt sind. Für People-Pleaser ist dies schon wie ein Ausdruck von Wut.
Du musst dafür nicht zu einem Netzwerk-Event gehen, wenn das ein zu großer Schritt ist oder du eher introvertiert bist (ich übrigens auch). Es ist aber wichtig, das innere Wissen, dass du Grenzen setzen und wahren kannst, aufzubauen. Denn sobald dieser Glauben und die körperliche und emotionale Erfahrung, dass es möglich ist, wieder da sind, wirst du weniger Angst beim Dating haben und Dates schneller beenden können, wenn ein Mann deine persönlichen Grenzen überschreitet oder dir ein ungutes Gefühl gibt. Eine Form der Grenzsetzung ist zum Beispiel das Kommunizieren deiner Meinung zu etwas. Du kannst dies mit einer Therapeutin, einem Therapeuten, einer Freundin oder Fremden üben. Wie fühlt es sich an, deine Meinung auszudrücken und zu ihr zu stehen? Kannst du es aushalten, nicht zu wissen, was die andere Person über deine Meinung / dich denkt? Wo spürst du welche Emotionen im Körper?
Erkunde deine körperlichen und emotionalen Grenzen in den nächsten Wochen und Monaten und stelle so eine Verbindung zu deinem inneren Wissen, deiner Intuition her, die dir niemand mehr nehmen kann.
Du musst also nicht voller Selbstvertrauen ins Dating starten, sondern darfst noch Angst haben. Die ist sogar gesund. Betrachte sie nicht als schlecht oder zu viel, sondern sieh sie als Begleiterin, die dich dieses mal beschützt.
Deine Natascha
Foto von Dilan Nagi



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