“Ich habe Angst vor Sex.” Sexualität und Dating nach Missbrauch
- nataschafreisein
- vor 14 Minuten
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Romantische Filme bringen Frauen indirekt bei, dass ein Kuss nach dem ersten Date normal ist und man Sex nach dem dritten Date haben kann oder sogar sollte. Carrie Bradshaw aus Sex and The City - eine Serie, die mit der “Beziehung” von Big und Carrie ein Paradebeispiel für eine toxische Beziehung ist - lernt in Staffel 3 Aiden kennen. Sie haben mehrere Dates, die schön verlaufen. Die beiden verstehen sich gut und Aiden begleitet Carrie jedes Mal nach Hause und verabschiedet sich dann. Kein Kuss, keine sexuellen Andeutungen. Carrie ist so daran gewöhnt, einen Mann beim ersten oder zweiten Date zu küssen oder sofort mit ihm ins Bett zu gehen, dass sie bei diesem Slow Dating nervös und unruhig wird. Sie fragt sich, ob er sie nicht mag und zweifelt an sich.
Irgendwann erklärt Aiden ihr, dass er die Dinge langsam angehen möchte, weil er sie mag. Und als er nach einigen Dates in ihre Wohnung kommt und die beiden dann miteinander schlafen, ist Carrie so nervös wie lange nicht mehr. Denn es konnte vor dem Sex Intimität entstehen. Viele sehen Sex als den Höhepunkt der Intimität. Dabei kann Sex das einsamste auf der Welt sein, wenn wir mit jemandem schlafen, der nur darauf bedacht ist, einen Orgasmus zu haben oder wir eigentlich eine Beziehung möchten und mit jemandem schlafen in der Hoffnung, dann bessere Chancen auf eine solche zu haben. Sex kann oft ein Versuch sein Intimität herzustellen, wenn wir nicht wissen, wie das anders geht: Intimität herstellen durch Kommunikation, ohne gleich sexuell zu werden. Dann überschreiten vor allem Frauen häufig ihre eigenen körperlichen Grenzen, um Liebe zu bekommen, die schlussendlich auf diese Art und Weise meistens ausbleibt.
Für wahre Intimität braucht es Verletzbarkeit und die Fähigkeit, Unsicherheit auszuhalten. Die Unsicherheit, ob uns jemand mag oder nicht und ob es zu einer Beziehung kommen wird. Das bedeutet nicht, dass wir uns auf jemanden einlassen, der Spielchen mit uns spielt oder uns hinhält. Es bedeutet, aushalten zu können, dass nicht sofort die Funken sprühen und man sich in den Armen liegt. Es bedeutet Ruhe, Langsamkeit, Nachhaltigkeit und ein wahres Interesse am Kennenlernen. Das Gegenteil sind Schnelligkeit, Unruhe, Ungeduld und vielleicht böse Absichten. Ja, es fühlt sich toll an, das Dopamin durch den Körper fließen zu spüren. Aber genau das ist es eben: nur Dopamin. Keine Liebe, kein Beweis für wirkliche Tiefe und Nähe.
Vorschneller Sex gaukelt uns vor, einer Person näher zu sein, als wir ihr wirklich sind.
Genau diese Phase des ruhigen Kennenlernens ist etwas, das dir vielleicht schwerfällt, die du überspringen willst, weil in ihr die beruhigende Sicherheit fehlt, dass uns das Gegenüber mag. Denn wenn wir jemanden nach dem ersten, zweiten oder dritten Date küssen, mit ihm schlafen, dann müssen wir weniger kommunizieren. Das Körperliche ersetzt dann das verbale Kennenlernen, die vielleicht unangenehmen Momente der Stille oder Verletzbarkeit, das manchmal unangenehme Sich-Öffnen. Dopamin und Oxytocin überfluten uns bei Sex und lassen uns glauben, dass wir den Richtigen gefunden haben. Es ist völlig okay, jemanden beim ersten Date zu küssen oder mit ihm zu schlafen und viele Menschen haben so eine gesunde Beziehung begonnen. Doch falls du Missbrauchserfahrungen gemacht hast und immer wieder das Gefühl hast, an den Falschen zu geraten (oder es wirklich tust), braucht es einen anderen, vorsichtigeren Umgang mit Sexualität.
Dein eigenes Tempo.
Häufig habe ich mich dabei erwischt, wie ich mein Tempo an das Tempo des Mannes angepasst habe. Ich warf all meine Bedenken und mein Bauchgefühl über Bord, nur weil der Mann so charmant war und ich Angst hatte, Nein zu sagen und nicht wusste, wie ich Nein sagen konnte. Ich spürte meine Bedürfnisse auf einmal nicht mehr und verwarf jegliche Vorsicht, jegliche Grenzen und ließ mich mehrmals in meinem Leben viel zu schnell auf Körperkontakt ein. Meist spürte ich erst Stunden, manchmal Tage, Wochen oder sogar Jahre später erst eine enorme Wut und Ohnmacht in mir aufsteigen. “Schon wieder habe ich nicht früh genug gespürt, dass ich das nicht wollte". Oder ich war es, die den ersten Schritt in Richtung Körperlichkeit machte, weil ich glaubte, dass dies der nächste logische Schritt war. Und manchmal sind es gar keine bösen Absichten, die eine andere Person dazu treiben, schnell Körperkontakt herzustellen. Es kann der eigene Bindungsstil sein, der ein langsames ruhiges Kennenlernen schwierig macht (Sucht und Suche nach Dopamin) oder es ist schlicht und einfach die Sozialisierung und der Fokus auf Sex in unserer Gesellschaft, der uns so ungeduldig gemacht hat.
Schaue doch mal zurück auf die Kennenlernphasen mit Partnern in deinem Leben und schreibe auf, welche Aspekte dir schwer fallen, wo du womöglich vorschnell körperlich wirst, wo du den Kontakt zu deinem Tempo verlierst.

Nein zu Sex und einem Kuss zu sagen, kommt für viele Frauen unter anderem deshalb nicht in Frage, weil es bedeuten würde, einen Mann möglicherweise zu verärgern. Indem wir Männer küsste, die wir eigentlich nicht küssen wollen, verhindern wir so Gewalt und Missbrauch, während wir gleichzeitig unseren eigenen Grenzen überschreiten und gesunde Wut herunterschlucken. Für unser Nervensystem und unseren Körper scheint es sicherer, Gewalt durch das Ja zum Sex zu minimieren und somit still zu bleiben und die eigenen Bedürfnisse herunterzuschlucken. Dies führt über Jahre und Jahrzehnte zu sehr viel unterdrückter Wut, die sich womöglich körperlich äußern kann.
Die Gefahr auf einen Narzissten, Psychopathen oder Soziopathen hereinzufallen sinkt drastisch, wenn wir uns mindesten zwei Monate, besser noch drei, Zeit nehmen, einen Mann ohne jeglichen sexuellen Körperkontakt kennenzulernen. Kein Händchenhalten, keine Küssen, kein Kuscheln, keine Gespräche über eure Sex-Fantasien und keinen Sex. Dies verhindert, dass Dopamin und Oxytocin ausgeschüttet werden, was vor allem für Frauen zu einem Bindungswunsch führt. Und es verhindert, dass ein Mann dich für die Befriedigung seiner oberflächlichen Bedürfnisse benutzt. Was kommt in dir hoch, wenn du dir vorstellst, diese Grenze zu kommunizieren? Spürst du ein bisschen Angst im Bauch beim Gedanken daran, einem Mann zu sagen, dass du drei Monate mit Körperkontakt warten möchtest? Was liegt unter der Angst? Ist es womöglich die Angst vor seiner Wut und seinem Drängen nach Körperlichkeit? Ist es die Angst, einen Mann zu verlieren?
Da für Opfer von Missbrauch vor allem im Bereich der Sexualität meist früh und häufig Grenzüberschreitungen stattfanden, ist es hilfreich, hier mit professioneller Begleitung zu lernen, gesunde Wut/gesunden Ärger zu spüren und durch Selbstbehauptung zu äußern. Je besser du in Kontakt mit deinem Körper bist, desto besser kannst du diese kommunizieren und die gesunde Wut rechtzeitig spüren.
“Wie erkenne ich, ob jemand böse Absichten hat?”
Indem wir uns Zeit nehmen und immer wieder in Kontakt mit unseren Bedürfnissen und Grenzen kommen. Nicht um uns abzuschotten, sondern um unserem Körper zuzuhören, der genau spürt und uns mitteilt, wann es zu viel ist. Dies ist für Menschen auf dem Spektrum und Menschen mit Traumata ein elementarer Schritt, um die Menschen auszusortieren, die böse Absichten haben. Frühe Missbrauchserfahrungen können es schwierig machen, zur eigenen Meinung zu stehen und auf das Bauchgefühl zu vertrauen.
Durch Sex machen wir uns nicht nur körperlich nackt, sondern bieten einem Mann mit bösen Absichten eine Angriffsfläche. Viele Narzissten sind sexsüchtig und nutzen ihre Partnerin für die Befriedigung ihrer Fantasien und Sucht. Oder sie setzen Sex als Druckmittel oder Bestrafung ein. In einer Beziehung zu einem missbräuchlichen Menschen ist Sex für das Opfer meistens stark verknüpft mit Dominanz, Machtlosigkeit, Gewalt, einem Gefühl der Ohnmacht, Obsession, Ekel, Wut, Schwäche, Ausbeutung. Wir geben uns womöglich hin, geben uns sexuell freizügig und spüren vielleicht nicht einmal, dass unsere Grenzen überschritten werden, um geliebt zu werden, weil wir selbst fast sexsüchtig werden. Unsere Sexualität wird ausgebeutet, bis nichts mehr geht und wir uns trennen oder verlassen werden. Häufig passen sich die Partner*innen fast vollständig an die sexuellen Wünsche des dominanten Partners oder der Partnerin an. In einer missbräuchlichen Beziehung zu einem Narzissten, wird Sex oft mit Liebe gleichgesetzt. Diese Verkopplung muss später dann sanft gelöst werden, um wieder oder zum ersten Mal im Leben wahre Intimität erfahren zu können.
All die Wut, die Ohnmacht, der Ekel - Emotionen, die angemessen sind bei Missbrauch - werden unbewusst unterdrückt, um in einer missbräuchlichen Beziehung zu überleben. Erst Jahre später, wenn wir wieder Dates haben und jemanden kennenlernen, merken wir plötzlich, dass es da einige Trigger gibt. Wir merken, dass wir Sex nicht so genießen können, wie wir es gerne täten, dass wir nichts spüren beim Sex oder uns plötzlich Ekel und Wut überkommen auf einen Partner, der liebevoll ist. Im Grunde sind dies gesunde Zeichen für mehr Bewusstsein. Unser Körper meldet sich endlich zu Wort. Wir entwickeln ein Gespür für das, was uns gut tut, auch wenn die Verbindung zwischen Spüren und Kommunizieren am Anfang noch schwierig sein kann.
Das beste Mittel gegen Angst vor Sex und Übergriffen.
Zeit. Nimm dir die Zeit, die du brauchst, um dich sexuell auf jemanden einlassen zu können. Ich empfehle drei Monate vom ersten Date an keinen Körperkontakt zu haben, um eben jene schnell entstehende Abhängigkeit, vor allem für hochsensible Menschen, zu verhindern. So könnt ihr übrigens beide schnell herausfinden, ob es wirklich passt und steht nicht nach acht Monaten vor einem Scherbenhaufen. Seine Reaktion wird dir viel über seinen Bindungsstil, seine Reife und seinen Respekt verraten. Unverständnis oder sogar Ärger deuten darauf hin, dass er nicht an einem richtigen Kennenlernen und dir als Mensch interessiert ist.
Hier gilt es, möglichen Ärger seitens des Mannes als sein Problem zu erkennen und dich dadurch nicht einschüchtern zu lassen. Es ist sein Problem, wenn er dich zu Sex drängen möchte und ein Zeichen für Unreife und Übergriffigkeit. Auf meinem Heilungsweg lernte ich, die Wut oder den Ärger Anderer zu sehen und meine innere Tendenz, sie zu besänftigen, auszuhalten (ohne mich zu erklären). Schon als Kind hatte ich aufgrund eines häufig verärgerten Vaters gelernt, die Wut eines Mannes zu entschuldigen und zu besänftigen. Ich habe es lange als meine Aufgabe gesehen, Ärger um jeden Preis zu vermeiden, auch wenn dies bedeutet, mit einem Mann ins Bett zu gehen oder meine Stimme zu unterdrücken.
Falls du Panik vor Sex und Nähe hast, kann es hilfreich sein, dir professionelle Hilfe zu suchen. Eine Trauma- oder Sexualtherapeutin kann dir helfen, das Geschehene zu verarbeiten und den Kontakt zu deinen Grenzen und deiner gesunden Wut zu stärken. Emotional triggernde Erinnerungen werden mithilfe der richtigen Therapie emotional entladen.
Deine Natascha
Stöbere durch meine EFT-Videos auf YouTube und reduziere den Selbsthass nach Missbrauch. EFT steht für Emotional Freedom Techniques und hilft, emotionale Blockaden und lang verdrängte oder unterdrücjte Emotionen zu verarbeiten. EFT wird von chronischen Schmerzen, über nagtive Glaubenssätze, Angst, Phobien bis hin zu Traumata (und mehr) verwendet.
Titel-Foto von Ekaterina Kuznetsova



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